Hahnemann – den resonnierenden Klang finden

Aus dem Magazin „KörperGeistSeele“
(Ausgabe April 2010)

Hahnemann – den resonnierenden Klang finden

Mareen Muckenheim bildet an der Chiron-Schule in Berlin angehende HomöopathInnen aus und kommt in diesem Interview auf die Geburtsstunde der Homöopathie und auf den innovativen Geist Hahnemanns zu sprechen.

Haidrun Schäfer: Samuel Hahnemann ist der Begründer der Homöopathie. Gab es so etwas wie eine Initialzündung?

Mareen Muckenheim: Die gab es in der Tat. Samuel Hahnemann hatte in Leipzig studiert und war zugleich Chemiker und Arzt. Anschließend konnte er aufgrund seiner Begabung eine Privat-Hospitanz in Wien machen und zwar bei Herrn Dr. Quarin, der das angesehenste Krankenhaus Wiens leitete. Sogar abends durfte Hahnemann mit zu seinen Privatsprechstunden gehen – das war etwas Besonderes, denn damals gab es noch kein praktisches Jahr und insofern keinerlei Möglichkeiten, unmittelbar am Krankenbett zu lernen. Etwas, dass Hahnemann unzufrieden machte, denn seiner Meinung nach wurde zu dieser Zeit nur theoretisiert. Deshalb hat er es abgelehnt Arzt zu sein: In seinen Augen konnte er einfach zu wenig, um kranken Menschen wirklich zu helfen. Von Herrn Dr. Quarin ist er empfohlen worden zu dem Baron Herr von Brukental nach Herrmannstadt in Siebenbürgen. Dort hat er dessen Münzsammlung und die Bibliothek verwaltet und zugleich für lange Zeit seine erste eigene Praxis gehalten. Hier kann man anmerken, dass Hahnemann bis zu seinem 50. Lebensjahr vorwiegend von Übersetzungen gelebt hat. D.h. er war immens belesen, denn die Übersetzungen betrafen medizinische und chemische Schriften. Zu dieser Zeit machte Malaria den Menschen in Siebenbürgen zu schaffen. Malaria heißt auf deutsch „Wechselfieber“. Wir glauben immer, dass Malaria nur mit der Mücke in Südafrika zu tun hat, aber auch in Europa und selbst in Berlin gab es das Wechselfieber – überall dort, wo viel Wasser war und die Mücken sich gut vermehren konnten. Man wusste damals, dass Chinin sehr gut gegen Malaria half. In dieser Zeit übersetzte Hahnemann eine Arzneimittellehre von Herrn Dr. William Cullen, einem schottischen Arzt, der behauptete, dass Chinarinde vor allem deshalb so nützlich bei der Behandlung von Wechselfieber sei, weil es eine magenstärkende Wirkung habe. Hahnemann war ein sehr kritischer Mensch und wollte die Dinge auch immer gerne belegt haben. Er stand auf der Schwelle von naturwissenschaftlicher Forschung und der Überzeugung, dass es eine Lebenskraft in uns gibt. Zu diesem Thema gibt es übrigens einen interessanten Beitrag von Andreas Weber, ein in Berlin lebender Biologe und Philosoph, der in seinem Buch „Alles fühlt“ beschreibt, dass in jedem Lebewesen – sei es der Baum oder der Wurm oder der Mensch – eine Kraft der Vorwärts- oder Weiterentwicklung vorhanden ist. Hahnemann wusste von dieser Lebenskraft und bezeichnete sie als eine nicht materielle, dynamische Kraft, die weder sichtbar noch wägbar noch anfassbar ist. Er hat sich also aufgemacht und ausprobiert, was Chinarinde macht, wenn er sie in einem gesunden Zustand zu sich nimmt. Nach der Einnahme von 0,06 Gramm hat er diese wechselfieberartigen Zustände bekommen – mit Zittern und Forst und Schwitzen – aber nur 20 Minuten lang, denn dann war die Arzneimittelwirkung vorüber. Das war 1790 und damit im Grunde die Geburtsstunde der Homöopathie, weil er hier erkannte, dass die Arznei beim gesunden Menschen Symptome hervorruft, die sie am kranken Menschen zu heilen in der Lage ist. Dieses Experiment hat er sogleich wiederholt, denn als Naturwissenschaftler bestand er darauf, dass die Dinge wiederholbar sein müssen. Aber genau das ist ja eigentlich in der Homöopathie nicht möglich – die Wirkungen sind nicht reproduzierbar, sondern immer nur in Korrespondenz mit der Erkrankung erhältlich. Hahnemann wollte immer – so wie es auch im Organon, dem Gesetzbuch der Homöopathie steht – ein wahrer und echter Heil-Künstler sein. Künstler in dem Sinne, dass Homöopathie eben nicht reproduzierbar ist, sondern stets nur am Individuum nach dem Ähnlichkeitsgesetzt wirkt. Allerdings ist sie im Sinne des Arzneimittelversuches am Gesunden reproduzierbar, wenn man eine genügend große Gruppe von Menschen einbezieht. Hahnemann hat noch sechs weitere Jahre geforscht, bevor er damit an die Öffentlichkeit gegangen ist. Erst 1796 gilt offiziell als die Geburtsstunde der Homöopathie.

Kann man sagen, dass Hahnemann ein grundsätzlich innovativer Geist war?

Hahnemann hat nicht nur die Homöopathie ins Leben gerufen, sondern war generell seiner Zeit weit voraus. Geschichtlich ordnen wir ihn in das Zeitalter der Aufklärung ein und damit hatte er – bildlich gesprochen – von der Zeitqualität Rückendeckung für seinen Erfindungsgeist. Er hat als erster Arzt psychisch Kranke homöopathisch behandelt – zwar hatte er nur zwei Patienten, aber für die damalige Zeit war das revolutionär. Der übliche Umgang bestand darin, diese Menschen wie Gefangene zu verwahren. Sein erster Patient war ein bekannter Mann, der aufgrund einer Ehrverletzung verrückt wurde – heute würden wir es als Demütigung bezeichnen. Hahnemann lebte zu der Zeit in Gotha, wo ihm der Graf von Sachsen-Anhalt angeboten hatte, einen Teil des Schlosses zu bewohnen. Da Platz genug war, konnte er Herrn von Klockenbring ebenfalls dort unterbringen – zumal das großzügige Salaire eine willkommene Abwechslung zur täglichen Mehlsuppe bot. Hahnemann interessierte sich für alle Arten von Erkrankungen, allerdings waren die Tobsuchtsanfälle des Herrn von Klockenbring und die Vertilgung von fünf Kilo Brot pro Tag nicht nur eine private, sondern auch eine berufliche Herausforderung. Da der Patient mit im Schloss wohnte, konnte Hahnemann auch nachts versuchen, den resonierenden Klang zu finden – im Sinne der Ähnlichkeit der Arznei. Es ist nicht exakt überliefert, womit er ihn behandelt hat, aber es liegt von der Symptomatik nahe, dass es Stamonium war. Auf jeden Fall konnte Hahnemann diesem Herrn zu einer Heilung verhelfen, so dass dieser nach kurzer Zeit wieder seinem Geschäfte nachging. Leider ist dieser Bereich nicht in die Tradition der Homöopathie übergegangen. Das liegt natürlich daran, dass wir dazu psychiatrische Kliniken bräuchten, in denen HomöopathInnen rund um die Uhr tätig sind. Anders ist es ja gar nicht zu machen, ernsthaft psychisch Erkrankte zu behandeln. Ich wäre sofort dabei, wenn so etwas in der Entstehung wäre. Aber dafür bräuchte es ein hohes Engagement und eine ganz andere Akzeptanz der Homöopathie als tragfähiges Heilverfahren – und das haben wir – noch nicht – in unserer Gesellschaft.

Wie verlief der zweite Fall?

Den zweiten Fall betreute Hahnemann quasi im Haushalt mit, als er in Hamburg in einer Mietwohnung wohnte. Leider fand er keinen glücklichen Abschluss, da dieser Herr von Wezel in komischer Kleidung herumlief und von Zeit zu Zeit inadäquate Laute von sich gab, so dass die Nachbarn dieses Verhältnis nicht tolerierten. Hahnemann wurde daraufhin die Wohnung gekündigt, so dass er die Behandlung aufgeben und auch den Ort verlassen musste. Im Grunde ist das noch einmal ein Beweis, wie notwendig es ist, dass wir dafür geeignete Örtlichkeiten haben. Der Fall Klockenbring konnte nur erfolgreich abgeschlossen werden, weil der Graf von Sachsen-Anhalt Hahnemann das Schloss zur Verfügung gestellt hatte.

Ich bin gespannt, was sich in diesem Bereich tun wird und danke für die Informationen!

Das Interview führte Haidrun Schäfer